Elektrohydraulischer Arachno-Bot ein faszinierendes Leichtgewicht
Von Spinnen inspirierte schnelle und effiziente Gelenke steuern eine Vielzahl an Robotern
- 16 June 2021
- Stuttgart
- Robotik-Materialien
Ein Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme und der University of Colorado Boulder entwickelt Gelenke, denen Spinnenbeine Modell standen, und bauen daraus leichte und filigrane Roboter.
Stuttgart/Boulder – Es wäre nicht das erste Mal, dass Spinnen dem Forschungsfeld der Soft-Robotik als biologische Vorbilder dienen. Die hydraulischen Antriebsmechanismen, mit denen die Gliederfüßer ihre Beine beim Weben ihrer Netze oder bei der Jagd bewegen, verleihen Spinnen Kräfte, die so manch Robotiker oder Ingenieur versucht nachzubauen.
Ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme und der University of Colorado Boulder in den USA hat nun ein Spinnengelenk nachgebildet, das es so noch nie gab. Sogenannte Gelenkroboter lassen sich damit sehr gut bewegen, da dessen Beine ohne sperrige Komponenten und Verbindungsstücke auskommen, die den Roboter beschweren, unbeweglich und langsam machen. Die schlanken und leichten, simplen Gelenkstrukturen beeindrucken insbesondere dadurch, dass sie den Roboter um das Zehnfache seiner Höhe hochkatapultieren können. Ende Mai wurde die Forschungsarbeit mit dem Titel "Spider-inspired electrohydraulic actuators for fast, soft-actuated joints" in Advanced Science veröffentlicht.
Die hohe Sprungkraft wird möglich durch sogenannte Spider-inspired Electrohydraulic Soft-actuated joints – kurz SES-Gelenke. Die Gelenke setzen die Forscher in vielen verschiedenen Konfigurationen ein – nicht nur bei der Entwicklung von Arachno-Bots. In ihrer Arbeit stellen die Wissenschaftler zunächst ein bidirektionales Gelenk vor, gehen dann über zu einer mehrteiligen Gliedmaße und zeigen am Ende, dass sie mit den Gelenken sogar eine ganze Greifhand mit drei Fingern bauen können. Die Roboterhand kann selbst zerbrechliche Gegenstände problemlos aufheben und bewegen, ohne dabei etwas kaputt zu machen. Alle Kreationen, die auf SES-Gelenken basieren, sind leicht, einfach im Design und sehr leistungsstark. Das macht sie ideal für Robotersysteme, die sich schnell bewegen und mit vielen verschiedenen Umgebungen interagieren können müssen.
Die Forscher entwickelten ihre SES-Gelenke auf Basis der HASEL-Technologie, die das Team vor einigen Jahren zum Bau künstlicher Muskeln erfunden hat. SES-Gelenke ahmen ein von Spinnen inspiriertes Exoskelett nach, das sowohl aus starren als auch weichen Elementen besteht. Während jedoch das Tier eine hydraulische Kraft beim Strecker der Beine erzeugt, ist es beim Roboter genau anders herum, nämlich wenn er seine Beine anwinkelt.
SES-Gelenke bestehen aus einem weichen Beutel, der aus dünner Kunststofffolie (entweder Polyester oder Polypropylen) hergestellt wird. Diesen füllen die Forscher mit einer elektrisch insulierenden Substanz. Die Forscher nutzen hierfür ein einfaches Pflanzenöl. Dann befestigen sie Elektroden auf jeder Seite des Beutels. Der Beutel wiederum ist verbunden mit einem starren Drehgelenk. Wenn eine Hochspannung zwischen den Elektroden angelegt wird, bewirken die elektrostatischen Kräfte, dass sich das Pflanzenöl im Inneren des Beutels verschiebt und sich so das Gelenk dreht. SES-Gelenke lassen sich bis zu 70 Grad drehen. Das hat ein hohes Drehmoment zur Folge. Zudem kehren die Gelenke automatisch in ihre Ausgangsposition zurück.
„SES-Gelenke sind sehr einfach und leicht, da es keine peripheren Komponenten gibt, die den Roboter beschweren“, sagt Christoph Keplinger, Leiter der Abteilung für Robotik-Materialien am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. „Weiche Roboter erfordern vielseitige Antriebe. Diese von Spinnen inspirierten Gelenke sind sehr leistungsstark, verbrauchen wenig Energie, und sie sind einfach und billig herzustellen – wir verwenden Kunststoffe, mit denen auch Lebensmittel verpackt werden. Die Produktion der Gelenke wäre also leicht skalierbar. Das sind alles Kriterien, die beim Design maßgeblich sind, wenn sich die Roboter auf viele verschiedene Arten bewegen und eine Vielzahl von Objekten greifen sollen, ohne sie kaputt zu machen.“
Eine Greifhand mit drei Fingern ist eine Anwendung, mit der das Team die Vielseitigkeit der SES-Gelenke unter Beweis stellt. Hätte das Team den Greifer stattdessen mit künstlichen Muskeln ausgestattet, wären diese im Weg, wenn die Robotik-Hand ein Objekt greift. SES-Gelenke hingegen benötigen weit weniger Platz.
„Die Forschung zeichnet sich dadurch aus, dass wir eine Vielzahl von Materialien verwenden können, sogar Kunststoff, aus dem Chips-Tüten hergestellt werden“, sagt der Erstautor der Publikation Nicholas Kellaris von der University of Colorado Boulder. „Auf diese Weise können wir SES-Gelenke bei vielen verschiedenen Robotern einsetzen, die alle ganz spezielle Eigenschaften haben.“
„Es war nicht unser primäres Ziel, einen Spinnenroboter zu bauen“, fügt Philipp Rothemund, der Zweitautor der Publikation, hinzu. „Wir wollten vielmehr ein modernes, vielseitiges Gelenk entwickeln, das man in jede Art von Roboter einbauen kann.“
Besonders für kleine Robotersysteme von nur wenigen Zentimetern Größe, bei denen der begrenzte Platz die Wahl des Antriebs stark einschränkt, werden SES-Gelenke in Zukunft sehr nützlich sein. Für das Forschungsfeld der Soft-Robotik ist diese Erfindung ein echter Sprung nach vorn.
https://doi.org/10.1002/advs.202100916
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Christoph Keplinger
artificial muscle
SES joints
Advanced Science
University of Colorado Boulder
arachno-bot